Verrückt
Der Aschenbecher vor mir ist voll. Übervoll. Graue Asche liegt auf dem Glastisch, der verschmiert und zerkratzt ist.
Der Rest von einem Dutzend Zigaretten schwebt an der Zimmerdecke und verfärbt die einst so farbenfrohen Tapeten. Das Atmen fällt langsam schwer, aber ich stehe nicht auf, um das Fenster zu öffnen. Später!
Ich kann nicht mehr. Nach einer Stunde schleppe ich mich zurück ins Bett. Ich bin müde.
Am Morgen
In meinem Hals kratzen die letzten Partikel des gestrigen Tages. Alkohol, Nikotin und dieser Mann!
Meine Glieder gehorchen mir noch nicht. Wie eine Greisin rolle ich mich auf die andere Seite in meinem Bett. Es riecht nach dieser Nacht, als hätte es Tage in einer Kneipe gestanden. Ich habe es nicht geschafft, mir die Klamotten auszuziehen!
Geschafft schlafe ich wieder ein, um irgendwann mitten in einer der sonnigsten Stunden zu erwachen. Die Sonne kitzelt mich, es ist warm und sehr angenehm.
Ich stehe auf und gehe ins Bad. Auf dem Weg dorthin streife ich meine Sachen ab und ziehe eine Kleiderspur durch die Wohnung.
Unter der Dusche stehend rieselt das wohltuende Naß an mit entlang und langsam holen mich die Geschehnisse des Tages zuvor wieder ein. "Ich möchte verwöhnt werden, zaghaft, lange, fordernd und nach mir die Sinnflut...", bat ich ihn.
Wir hören die Musik... mystisch In Existence, Kiato... wunderschön! Kaum merklich bewege ich mich im Takt der Musik und sanft schlägt er mit der Hand gegen meine Schenkel. Dann reißt er mich an sich und ich spüre nur noch einen Schmerz. Ich starre ihn an und denke, wie gerne würde ich ihm jetzt irgendwo meine Fingernägel hineinbohren und mich an ihm festbeißen, schließlich hat er gerade seine Zähne in mein Fleisch geschlagen. Meine Schulter schmerzt. Erregend, erregt, süßlich, süß!
"Ich freue mich, wenn Du Dich freust", flüstere ich ihm zu. "Ich lächle, wenn Du glücklich bist, bin traurig, wenn Du weinst. Wenn Du sprichst, schweige ich, warte, so Du es willst, und komme, wenn Du mich rufst. Kannst Du Dir vorstellen, wie es mir heute geht?"
Er lächelt nur.
Ich weiß jetzt, daß ich nicht - wie angenommen - schon den ganzen Tag so aufgeregt gewesen bin, nein ich war erregt bei dem Gedanken, dich zu treffen, sehr erregt, unglaublich sogar! Und ich fragte mich, wohin mit mir und diesem Gefühl, daß sich bei jedem neuen Gedanken an uns noch mehr verstärkte. Wohin?
Das ist einer dieser Momente, wo ich denke: So, hier bin ich! Pack mich am Nacken, an den Armen, irgendwo... ! Kannst Du Dir vorstellen, wie schön das alles ist?"
Er geht zum Tisch und nimmt die Kerze aus dem Glas.
"Schau und fühle, wie hell und warm das Licht ist. Leg dich ins Bett."
Der erste Tropfen Wachs fällt auf mein Bein und es gleicht der Begegnung mit einer Nadel, die die Haut berührt, jedoch nicht sticht.
Ich lächle!
Es tropft weiter. Immer höher am Bein entlang. Tropfen für Tropfen fällt auf mich herab.
Auf den Bauch, meine Brüste.
Und anfänglich kaum spürbar macht sich ein Gefühl in mir breit, ein unbeschreibliches, daß ich erst nach Minuten merke, wie sich alles in mir anspannt und entspannt, wie sich er der erste kleine Faden zwischen meinen Beinen seinen Weg bahnt.
"Ich möchte, daß ich fühlen kann, wie es ist, wenn du deine Hände nach mir ausstreckst und nach meinen Brustwarzen greifst."
Daß im Fernsehen ein beschissener Film läuft, nehmen wir schon nicht mehr wahr. Ich bin total... verrückt! Er ist verrückt!
Ich nehme ihn, lecke an ihm, knabbere an ihm, dem Mann. Mein Lieber! Und ich beiße in die Decke unter mir, in das Kissen über mir, in seinen Arm. Bis er schreit. Ein letztes Mal betrachtet er mich wohlwollend, dann verschwindet er in mir. Ich stöhne auf.
Ich bin verschwitzt. In den Kniekehlen und unter meinen Brüsten. Ich bin aufgewühlt und plötzlich greift er nach meinen Haaren und zieht meinen Kopf ganz dicht zu sich heran. Ich bäume mich auf, krümme mich, ich genieße das. Ich genieße schon wieder ihn!
Die Nacht der Verrückten endet irgendwann und als ich am Morgen aufstehe und mich im Wohnzimmer in den Sessel fallen lasse sehe ich, wie voll der Aschenbecher ist. Übervoll. Graue Asche liegt auf dem Glastisch, der verschmiert und zerkratzt ist.
© by V.S. Juni 2001