Rückkehr ins Leben?
Ich bin jung und unerfahren. Gerade zwanzig Jahre alt gebe ich ein Versprechen ab, über dessen Ausmaß ich mir nicht die geringste Vorstellung machen kann.
"Du wirst sehen, meine Liebe, alles wird gut. Es wird phantastisch werden!", meint der Mann, der mich in seine Obhut nimmt.
Dann nimmt er all meine Sachen an sich und sperrt mich für Tage in das Zimmer neben seinem. Als sich die Tür schließt und ich höre, wie er den Schlüssel im Schloß gedreht wird, bin ich entsetzt. Ich möchte am liebsten weinen, doch in mir klingen plötzlich wieder seine Worte, als er mir sagte, es würde phantastisch werden. Vielleicht gehört das dazu? Sicher? Bestimmt!
Und wie lange?
Dreimal am Tag kommt er zu mir. Er badet mich, wir essen gemeinsam und manchmal schläft er mit mir. Hin und wieder bringt er mir vom letzten Einkauf etwas zum Anziehen mit, keine Hosen und ab und zu legt er mich übers Knie und hinterher salbt er meinen roten Hintern. Wenn ihm danach ist, wirft er mich zu Boden und ich schreie auf, weil er mich mit seiner Peitsche schlägt. Ich danke ihm. Und manchmal schläft er mit mir. Sieben Tage lang!
Als sich nach sieben Tagen die Tür für mich öffnet, darf ich in sein Schlafzimmer umziehen. Seit dieser Stunde an lebe ich als seine... was auch
immer...
Mein Versprechen war es, zehn Jahre zu bleiben.
Ich ziehe in eine andere Stadt.
Vieles fällt mir am Anfang nicht leicht. Ich entscheide wieder selber, wann ich schlafen gehe, mit wem ich schlafen möchte - bisher niemand, ich gehe arbeiten und kann Hosen tragen.
Es gibt auch Dinge, die mir nichts ausmachen. So kann ich geduldig in der Schlange an der Kasse warten bis ich an der Reihe bin, ohne mich wie andere über die vielleicht langsame Kassiererin aufzuregen. Und immer wieder bemerke ich, als ob er noch in meiner Nähe wäre, daß ich meine Haltung einnehme. Die Hände auf dem Rücken verschränkt mit gesengtem Blick.
Zehn Jahre meines Lebens liegen hinter mir!
Vielleicht bin ich doch nicht ins Leben zurückgekehrt. Vielleicht hat sich nur das normale Leben wieder eingestellt. So wie früher. Vielleicht haben
sich jetzt einfach nur die Prioritäten verschoben?
Es ist nicht mehr so wichtig, daß ich jeden Tag, jede Stunde perfekt geschminkt, passend gekleidet und jederzeit verfügbar bin. Ich kann auch in Jeans und T-Shirt und ohne Schminke ins Kino oder in den Supermarkt gehen. Ganz alleine. Wenn ich will, bis weit nach Mitternacht.
Auch wenn ein Tag nie einem anderen schablonenartig gleichen kann, beginne ich wieder jeden neu erwachenden Tag als etwas Besonderes zu sehen, mit all seiner Lebendigkeit zu genießen und in seiner Vielfalt zu erleben.
Ich bin zehn Jahre älter und etwas unerfahren...
© by V.S. 2001