Eine Fiktion (Auszug II)
Ich hatte so verrückte Ideen,
wahnsinnige Phantasien.
Man entdeckte mich
und führte mich in Handschellen ab.
Als ich am Morgen erwachte wusste ich zunächst nicht, wo ich war. Einen Moment lang wähnte ich mich noch in meinem nächtlichen Traum, doch der zerplatze wie eine Seifenblase mit jeder weiteren Sekunde, in der ich mich in dieser scheußlichen Zelle umsah.
So ging ich duschen, putzte meine Zähne und steckte das noch nasse Haar gleich wieder am Hinterkopf zusammen. Ich musste unbedingt vermeiden, dass man meinen Strichcode unter den Haaren entdeckte.
Damals.
Mein Herr hatte mich mit ernstem Gesicht immer wieder gefragt hatte, ob ich das wirklich wolle, ob ich bereit wäre. Einmal für immer! Ich hatte Ja gesagt. Er gab mir den wohl liebevollsten Kuss auf Erden, strich noch einmal mit seiner Hand zärtlich über meinen Hinterkopf, dann entfernte er dort jene Partie Haare, die Platz machen sollten für mein neues und ganz eigenes Zeichen.
Fürsorglich cremte er die Stelle ein, legte mich bäuchlings auf eine Pritsche und nahm meine Hand. Der Encoder kam herein und setzte sein Gerät an. Es tat unheimlich weh. Welch Schmerz! Dafür ging es schnell.
Seither trage ich am Hinterkopf unter den Haaren meinen eigenen Strichcode, der mich als registrierte Sklavin ausweist.
Jeder in der Szene wusste seitdem, wer und wessen Eigentum ich war.
Die Zellentür wurde geöffnet.
Eine Drohne stand davor und gab automatisch das Essen aus. Dann schloss sich die Tür wieder.
Ich nahm mein Tablett und stellte es auf dem Schreibtisch ab.
Ein Getränk in einer Flasche, zwei Scheiben Brot mit Käse. Kein Besteck, kein Geschirr!
Auch das noch, dachte ich. Ich schaute zum Regal, suchte nach dem siebenten Buch von Links und nahm es an mich. Kurz nach Kapitel III lag mein kleiner Zettel. Ich notierte nach Ring, Halsband und keine Rasur als vierten Punkt, dass ich hier kein sklavisches Geschirr hätte. So würde es mein Herr benennen.
Das Tablett hatte nicht mal einen Rand, sonst hätte ich die Flasche auch darauf ausgeschüttet, um das kostbare Nass vom Tablett zu lecken.
Ja, sie wussten schon, wie sie hier einer Sklavin das Leben schwer machen konnten.
Ich musste also aus der Flasche trinken und aß wie ein Neandertaler mit den Fingern.
Irgendwann holten mich zwei Wächterinnen zur "Berieselung".
In einem Raum wurde ich bereits von einigen Erziehern erwartet.
- Nehmen sie dort im Sessel Platz.
- Nein danke, lehnte ich ab.
- Setzen sie sich hin!
Die Wärterinnen drücken mich auf den Sessel.
Wie mit Engelsstimmen begannen plötzlich alle, auf mich einzureden, mich auszufragen.
Warum ich das tue, was ich tue, warum ich dieses Leben gewählt hatte, das sei doch nicht normal, das wäre doch abartig und überhaupt sollte sich eine Frau wie ich doch nicht schlagen lassen, immer diese Schmerzen. Wie sieht das denn aus?
Und dann immer diese unerlaubten Gedanken, perversen Ideen. Krank, total krank.
Ich schaute sie mit meinen großen Augen an. Alles was sie sagten blubberte in mein eines Ohr hinein und schoss aus dem anderen gleich wieder heraus.
Nach wenigen Minuten war ich mit meiner Geduld schon am Ende. Ich schlug mit der Hand auf die Sessellehne und sprang auf.
- Es ist schön, wie sie sich um mich sorgen, aber ich kann ihnen versichern, ich lebe ein glückliches Leben! Lassen sie mich einfach wieder nach Hause gehen. Warum zerbrechen sie sich eigentlich meinen Kopf? Ich finde es schön, wenn es in meinem Kopf drunter und drüber geht, wenn mich prickelnde Gedanken aufwühlen und aus einem grauen tristen Tag einen Regenbogen machen.
- Abführen, sofort abführen, schrie einer der Anwesenden.
Die Runde nickte dem Alten zu und der erhob mahnend den Finger.
- Das werden wir ihnen schon abgewöhnen! Abartigkeit!
Ha, dann war ich wieder im meiner Zelle. Kurz schaute ich zum geheimen Zettelversteck, um mich zu versichern, dass es nicht entdeckt wurde. Alles war in Ordnung.
Mir etwas abgewöhnen, dachte ich, das werden wir schon sehen!
Manches hatte mich so viele Tränen gekostet, Überwindung, Mut und Zeit. Vieles war in mir musste aber erst geboren werden, anderes musste ich erst begreifen und lernen.
Solch Kostbarkeiten gibt Sklavin nicht kampflos auf!
Ich zog meinen Overall aus und kroch zehn Minirunden auf allen Vieren durch meine Zelle. Doch weil die Zelle ja keine gute Runde bieten konnte wurde mich schon bald schwindelig. Durchhalten.
Mich packte die Langeweile.
Sie machte mich müde und ich wollte mich eine Weile auf mein Lager legen. Und wie schon in der Nacht, musste ich im Bett schlafen. Die Bettwäsche war mit dem Bett verbunden und die Flusen des Teppichs waren so hoch, das ich in der Nacht darin ersticken würde. Und da nannte man mich abartig!
Bevor ich einschlief notierte ich einen weiteren Punkt auf dem Zettel: kein sklavisches Nachtlager.
Kaum lag ich, starrte ich unentwegt die Decke an.
Was sie wohl mit den anderen gemacht haben, die seither gefangen wurden, fragte ich mich. Natürlich war es nicht einfach, ein gewohntes Leben unter diesen Umständen hier fortzuführen, schließlich war dies ja das Ziel der Gefangennahme. Normal leben.
Sollten sich meine schlimmsten Befürchtungen bewahrheiten, welche Art der Folter würden sie hier wohl anwenden?
Ich grübelte und zermarterte mir das Gehirn. Plötzlich schreckte ich hoch. Gehirnwäsche? Eine Bereinigung der Gedankenwelt?
Meine Gedankenwelt sollte bereinigt, verändert, ausgelöscht werden?
Bei dieser schauderhaften Vorstellung zog mir die Decke über den Kopf. Ich drehte mich um und schloss die Augen. Nur ein wenig schlafen. Den Kopf frei halten. Nur nicht verrückt machen!
Ich musste an meinen Herrn denken, der mir nach meinem Umzug in die andere Stadt den Schlüssel zu dieser kleinen Wohnung übergeben hatte.
Sie ist wie alle Wohnungen standardmäßig mit den immer laufenden Monitor ausgestattet, dessen Lautstärke man nur in der Nacht selber regulieren kann, tagsüber herrscht Dauerberieselung mit Musik, Meeresrauschen oder Klängen des Waldes. Ganz nach Wunsch. Es gibt auch eine kleine Küche mit allerlei Maschinen und ein Bad mit Duschwanne.
Zum Schlafen habe ja ich ein kleines Zimmer. Mein Herr richtete es für mich asiatisch ein. Wundervolle Schriftzeichen zieren die Wände, wie auch ein in Schwarz gerahmtes Bild mit einer untergehenden roten Sonne und zarten rosa Blüten. Dieses Bild hängt genau über dem Schlaflager. Es ist kein Bett, lediglich eine leichte Matratze am Boden mit Platz für Zwei. Und meine wenigen Sachen hängen dort seit eh und je auf einem kleinen Ständer hinter einer verstellbaren Wand. Ein Gestell mit bemaltem Papier. Wunderschön.
© by V.S. 03. August 2004