Die Schöne und der Vampir

Es ist der schwarze Falter, der mit den Krallen an den Gliedern und den langen Zähnen, die sich in dein rosa Fleisch bohren, das dann blutet. Mit Wonne macht er sich über dich her, um an dir zu saugen, um an dir zu lecken, bis du blaß in seinen Armen liegst oder matt zu Boden sinkst. 
Wie schmelzendes Eis...
Und mag sein, er nimmt dich, um dich zu betten auf den seidenen Laken deines Himmelbettes, daß du weiter träumen kannst, vielleicht verendest du... 
 

Gänsehaut überzieht ihren Körper, kalt ist ihr schon die ganze Zeit und das Zittern ihrer Glieder läßt die schweren Ketten erklingen, die immer wieder gegen die Wand schlagen, an die die Frau gefesselt ist. 
Sie weiß nicht, wo sie sich befindet, was sie hier sucht, geschweige denn wie sie hierher gekommen ist. Das Einzige woran sich die junge Frau noch erinnern kann ist, daß sie am Abend schon zeitig zu Bett gegangen war, daß sie sofort einschlief und ein Traum sich in ihren Schlaf schlich, der ihr mehr als nur die nackte Angst einjagte; der Traum schien plötzlich so echt, bis er überging in das, was nun ist. Immer wieder beißt sie sich auf die Unterlippe und versucht sich einzureden: "Das ist nicht echt, nicht wahr. Das ist nur ein Traum und wenn ich aufwache, ist alles vorbei! Ist alles vorbei!"
Ihre Lippe blutet! Kein Traum!
Da steht sie und friert in ihrem dünnen Nachthemd, die Augen verbunden, der wehrlose Körper in Ketten "geschlagen", die Unterlippe blutet. Und als der erste Tropfen sich ihrem Kinn entlang seinen Weg zu suchen scheint, ist ER da!
Er fand sie in der Nacht, als er durch die Lüfte zog, Ausschau hielt nach einem Opfer. Er nahm sie mit, kettete sie an die Wand und jetzt, wo er schon eine Weile vor ihr sitzt, sie leiden sieht in ihrer Ungewißheit und der Tropfen Blut wie ein Schönheitsfleck ihr... wunderschönes Gesicht verziert, spürt er, daß es nicht nur das Blut ist, das er die ganze Zeit schon bewundert. Nein, es ist dieses Wesen Frau, diese Haut, der Duft, der von ihr ausgeht, und wie gerne würde er wieder fühlen, so wie ein Mensch, so heiß und lebendig wie vor 300 Jahren!
Er erhebt sich und geht auf die Frau zu. In diesem Moment hält die Frau inne. Ihr Zittern verschwindet, keine Ketten klingen. Sie hört, daß sich etwas, jemand bewegt hat, daß da wer sein muß. 
"Wer ist da?"
"Wie angstvoll ihre Stimme ist, die wie ein Messer die Ruhe in diesem alten Gemäuer zerschneidet, dabei klang es so zart wie eine Feder...", geht es ihm durch den Kopf. Er bleckt seine Zähne. 
Sie spürt die Nähe eines unbekannten Menschen und wie ihr jemand das Tuch von den Augen nimmt. Sie blinzelt in die Dunkelheit und Sekunden später sieht sie ihn vor sich stehen.
Sie wagt nicht ihn, der sie womöglich aus ihrem Schlaf in diesen Alptraum entführt haben muß, anzusprechen. Doch schaut sie ihm in die Augen, die ihr so leer vorkommen, traurig und so einsam, voller Ruhe, inniger Ruhe, seliger Ruhe. Tödlich. 
Und er? Er könnte sie jetzt an den Schultern packen, sich zu ihr herunterbeugen, seine Zähne in ihren Hals schlagen und könnte sie aussaugen, um sich an ihr zu nähren, um seinen Tod am Leben zu erhalten so, wie er es schon tausende Male getan hat. Doch findet er die Angst in ihren Augen, dabei weiß sie noch nicht um seine Identität und sein Treiben und Handeln, das ihn Nacht für Nacht in die Dunkelheit zieht. Plötzlich fühlt er die Stiche, messerscharf, die ihn genau da treffen, wo einst sein warmes Herz noch schlug und er verspürt den Wunsch sie zu berühren. Doch seine Hände, die damals sein eigenes Weib liebkosten, sind heute so weiß und die Nägel an den Fingern so lang und spitz.
"Sie würde erschrecken!"
Er greift nach dem Tuch und bindet es ihr wieder um die Augen. Die junge Frau versucht sich zu wehren, doch hilft es ihr nicht, gegen seine Stärke anzugehen.
"Nein, bitte nicht!", schreit sie immer wieder und ihr Kopf wirft sich hin und her. Dann berührt er sie.
Ein Schaudern durchfährt ihren Körper, als sie die scharfen Nägel an ihrer Haut entlang gleiten spürt. 
"Er wird mir nichts tun, dieser Mann. Er wird mir nichts tun!", denkt sie.
Minuten vergehen. Ihr Nachthemd fällt zu Boden. Seine Finger zeichnen ihren Körper nach, diesen wundervollen. Seine Nägel hinterlassen rosa bis rote Linien, Muster. Die junge Frau neigt ihren Kopf zur Seite, sie beginnt zu stöhnen, erst leise, dann lauter. "Es scheint ihr zu gefallen", denkt er, so tut er es wieder und wieder. 
Doch langsam wird aus dem Streicheln und Zeichnen ein Kratzen. Seine Krallen verletzten sie, die Male beginnen zu bluten und er kann nicht mehr aufhören.
"Er wird mir nichts tun." 
Laut schreit sie ein letztes Mal auf. Kraftvoll dringen seine Zähne in sie ein. Er hält ihren Leib bis sie leblos zusammenfällt, in den Ketten hängend.
Aber durch das offene Fenster weht die warme Morgenluft und die ersten Sonnenstrahlen kitzeln ihr Gesicht...

 

© by V.S. Februar 2000